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Ursula Prinz über die Arbeit von
ANGELIK RIEMER


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... Sie kann sich dabei auf zwei Traditionen stützen, diejenige der konstruktivistischen Kunst und die der Farbfeldmalerei. Die eine ist russischen Ursprungs, die andere amerikanischer Herkunft. Der russische Konstruktivismus wurde in den zwanziger Jahren geschaffen, die amerikanische Colourfieldmalerei hat sich erst in den fünfziger und sechziger Jahren ausgeprägt. Beide Strömungen hatten großen Einfluß auf die europäische Kunst. Der russische Konstruktivismus, der bei seiner Gründung durch Vladimir Tatlin, Naum Gabo und andere eine politisch revolutionäre Bedeutung hatte und den praktischen Aufbau einer neuen Gesellschaft meinte, ist in seiner architektonisch strengen Formgebung bestimmend für die Kunst der zwanziger Jahre gewesen, in denen er ein vor allem in Osteuropa wirksamer Widerpart des Expressionismus warund letztlich auch westliche Bewegungen wie diejenige des Bauhauses beeinflußt hat. Die rationale Formgebung, die sich keineswegs auf die Malerei beschränkte, sondern alle Bereiche umfaßte wie z. B. auch Möbel und Design, hat eine Schule von Malern geprägt, die sich die Konkreten nannten und zu denen Künstler wie z. B. Max Bill zu rechnen sind. Auch in Berlin hat es seit den zwanziger Jahren eine Reihe von Küstlern gegeben, die dieser Richtung folgten. Diese Malerei hat selbstverständlich immer nur eine kleine Verehrerschaft, weil ihre Abstraktion und Strenge hierzulande den realistischen und expressiven Vorlieben entgegenstanden.
Angelik Riemer kann man dieser oft sehr rationalen und intellektuellen Kunstrichtung allerdings nur bedingt zurechnen. Ihre Vorgehensweise richtet sich nicht nach festgelegten Regeln oder Gesetzmäßigkeiten. Die Strenge hat sie sich vielmehr auferlegt, um nicht in der Flut der Farben und im Abstrakten unterzugehen. Sie ist ein Korrektiv des Gefühls wie der Gestaltlosigkeit und des Chaos. Denn dieses lauert hinter der unendlichen Tiefe der Farbflächen. Künstler wie Mark Rothko, vielleicht der größte Künstler dieser amerikanischen Schule, oder Ad Reinhardt mit seinen schwarz in schwarz gemalten Bildern, entgingen den Gefahren ihrer auf das Mystische und Abgründige gerichteten Psyche nicht, als ob man nicht ungestraft die Pforten des Unendlichen berührte. Bei Angelik Riemer scheint diese Gefahr zwar beschworen, aber eben auch gebannt.
Ihre Diesseitigkeit und Lebensfreude bewahrt sie vor dem Sturz in den Abgrund. Ihre Kunst ist nicht nur ein bewußter Balanceakt, sondern bezieht ihre Lebendigkeit eben daraus ...

aus: Ursula Prinz (Berlinische Galerie), Ausstellungseröffnung Angelik Riemer, Deutsche Bank Berlin 1994
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